15. Tag: Von Aurich nach Varel
Der heutige Tag hat zwei Seiten. Teil 1 kann man mit 3 Worten charakterisieren: Moore, Kanäle und Pflastersteine. Sehr abwechslungsreich. Die meiste Zeit am Ems-Jadekanal entlang.
Er wurde schon um 1880 gebaut, ist etwa 70km lang und wird nur noch von Freizeitsportlern genutzt. Bei Aurich hat er seinen Scheitelpunkt und fließt hier schon Richtung Jade.
Bis Friedburg haben fast alle Ortschaften ein Moor im Namen.
Sie sind zum großen Teil entwässert worden und entlang des Kanals gibt es noch Hoochmoorreste.
Ist das ein Hochmoorrest? Es sieht so aus, als hätte sich das Moor - wegen fehlender Bewässerung abgesenkt und dort wo Bäume mit ihren Wurzeln das Erdreich zusammengehalten haben, bildeten sich quasi "Inseln".
Und zum Dritten: Bin ich fast den ganzen Morgen auf Pflastersteinen gefahren. Auf der Rangliste der fiesesten Radwegbeschaffenheiten, kamen die Pflastersteine, nach Sandwegen, Matschpisten, echten Kopfsteinpflastern und Panzerplatten im Todesstreifen an der DDR Grenze locker auf Platz 5. Mindestens 20 km ging das Geholper.
Aber als frischgebackener Zenmeister des Jitensha-Zen (falls Ihr es nicht nachgegoogelt habt, Jitensha heißt Fahrrad auf japanisch) habe ich natürlich auch dafür eine spezielle Technik entwickelt. Die Übung 42 lautet: "Höre auf dein Schutzblech! Wenn Du es scheppern hörst, bist Du zu schnell! Auf Pflasterstraßen, höre auf dein Schutzblech! Dein Rücken wird es dir danken."
Heute Morgen kam die Bestätigung, dass der von mir gegründete Jitensha-Zen nun offiziell anerkannt ist, und ich den Namen Sensei führen darf. Bis zum Roshi kann es noch ein paar Jahre dauern. Mein Sensei Namen ist Seifun gyōsha. Ihr dürft mich aber auch gerne Meister nennen.
Auf einem kleinen Abschnitt durch die friesischen Moore- oder was von ihnen übrig geblieben ist, beginne ich zu ahnen, warum Pflastersteine die bessere Option sind.
Dieser Abschnitt ist die reinste Achterbahn. Auf dem Foto kann man es nur erahnen, aber der Weg hat sich in alle Richtungen verschoben, ist abgesackt oder "aufgequollen".
Also gut, dann halt Pflastersteine. Die Alternative war auch nicht wirklich besser.
Ca. 3-4 km schmaler Pfad, hier noch eher breit, weiter hinten noch 2 Reifenspuren breit. Und noch weiter hinten ging es Richtung Matschpfad.
Aber insgesamt wird das Ufer des Kanals immer noch mit Kieferpflöcken befestigt.
Scheint sich immer noch zu bewähren:
Das skurrilste Erlebnis des heutigen Tages habe ich leider nicht gewagt zu dokumentieren.
Ihr werdet mir nicht glauben, was die Aktion des Aktionstages war. Auf matschiger Wiese, neben dem Kanal haben sich eine ganze Menge Honda Fans getroffen- und zum Teil auch da gezeltet. Stinknormale Honda Autos. Manche vielleicht schon Newtimers, andere nur "schön" lackiert. Aber im Großen und Ganzen scheint es darum gegangen zu sein, dass sich Hondafahrer treffen und sich neben ihre Autos stellen und reden - und abends wahrscheinlich am Lagerfeuer die schönsten Hondageschichten austauschen. Oha, - da würde ich mich noch lieber zum Treffen der Birkenstockfreunde in der Wilster Marsch anmelden.
Aber wie sagt der Friese so schön? "Wat dem ehn sin Uhl...." - By the way, keine einzige Eule habe ich in Aurich schaurich heulen gehört.
Sogar meine Fremdsprachenkenntnisse konnte ich heute verbessern. Und Marx hat auch einen ziemlich schiefen Kirchturm, der sich sogar nach hinten und nach rechts geneigt hat.
Der 2. Teil des Tages nach Friedeburg und Marx war eher unspektakulär.
In Varel angekommen, musste ich wieder einmal feststellen, dass Adressen nicht immer Hinweis darauf sind, wo man landet.
Die Adresse der Pension Cao Lai ist, Am Jadebusen 61.
Von Jadebusen keine Spur. Das Meer ist noch 5 km weg von meiner Unterkunft. Aber dafür für einen frischgebackenen Sensei höchst angemessen:
Wartet ich hole die Buddhas noch etwas näher.
Noch 10 km draufsatteln, nur um das Meer zu sehen? Nicht heute, und nicht mit mir. Selbst Varel ist noch gut 2 km weg von der Cao Lais Idylle. Die Leute sind wirklich nett. Aber das Zimmer....
Da fahre ich doch lieber noch ins Städtchen.
An einer Ampel frage ich eine junge Dame: "Was muss ich in Varel gesehen haben?" "Den Strand! IM ORT? Heute ist doch alles geschlossen ."
Ahem! Nö, 10 km fahre ich heute nicht mehr. Ich schaue mir lieber die heute geschlossene Stadt an.
UND ERLEBE EINE WIRKLICHE ÜBERRASCHUNG.
Kirchenbesuch waren auf dieser Reise, bis auf Haarlem ja wirklich nicht angesagt. Und wer einmal evangelisch-reformierte Kirchen gesehen hat, der muss sich nicht noch eine weitere anschauen. Aber ich bin eben ein unerschütterlicher Optimist und schaue ob die Schlosskirche geöffnet hat. Von Schloss weit und breit keine Spur. Aber offen ist St.Petri.
Ich traue meinen Augen nicht! Das soll eine protestantische Kirche sein? Nicht eine von den Katholiken übernommene, sondern eine für Protestanten gebaute?
Das ist ein Ludwig Münstermann Altar. Der Name ist mir bislang nicht unter gekommen. 1613-1618 fertigstellt. Münstermann, in Bremen geboren, hat viel in Hamburg gearbeitet. Aber wie kann das sein, ein so prächtiger Altar - in einer protestantischen Kirche. Das hat mit Barock rein garnichts zu tun, das ist astreiner Manierismus, wie wir ihn in Süddeutschland einfach nicht kennen. Das ist eine ganz eigen Formen- und Bildersprache.
Kein Zweifel das sind Luther und Melanchton.
Vor allem das kräftige Grün ist . Ich bin hin und weg. Ein Herr geht durch die Bankreihen, - ganz unauffällig. Richtet die Gebetsbücher...
Klar, es ist kurz vor 16:00 Uhr, der will , dass ich langsam die Fliege mache. Es ist der Küster. Ich sage ihm, dass ich völlig verwirrt bin, so einen Altar in einer Protestantischen Kirche. "Als ich vor 15 Jahren hier her gekommen bin, ging es mir genauso! Das ist eine evangelisch lutherische Kirche und ich bin aus Hinte, kennen Sie die Kirche in Suurhusen mit dem schiefen Turm? Dort ist man evangelisch reformiert, also weniger Luther und mehr Zwingli und Calvin. Diesen Protz habe ich nie gemocht." Wir unterhalten uns angeregt, und er vergisst, dass er seiner Frau versprochen hat, heute früher abzuschließen. Der arme Reformierte ist jetzt schon 15 Jahre Küster in einer lutheeerischen Kirche (ein wenig schwingt Verachtung mit wie er Luther ausspricht). "Und haben sie den Tympanon gesehen? Mein Sohn studiert Kirchengeschichte, die verkehrte Kreuzigung Petri, weil er nicht wie Jesus am Kreuz sterben wollte, soll in den Apokryphen stehen, er sagt, er habe nichts gefunden." Der Herr Küster ist nicht recht zufrieden mit seiner Kirche, die er seit 15 Jahren betreut. Eine leerere Kirche wäre ihm viel lieber.
Und von C.C.Webers Tympanon hält er auch nichts. Volksverdummung. "Es geht darum die Menschen zu erreichen, Zwingli hat in Zürich auf Schwyzerdütsch gepredigt..." Der gute Herr Küster redet sich warm - und wird von seiner Frau gleich Ärger bekommen. "Wir wollten heute doch früher los!!!"Das war wieder einmal ein sehr sympathische Begegnung - auch wenn ich die leeren reformierten Kirchen nicht mag.
Die Schlosskirche zu Varel war auf jeden Fall einen Besuch wert.
Und zum Schluss: Die Rätselecke.
Auf Herrn S. aus E. ist Verlass. So genau stand es nicht auf der Tafel an der Kirche von Suurhusen:
Der laut Guiness World Records schiefste Turm der Welt von 2007 – 2022 wurde um das Jahr 1450 im Herzen Ostfrieslands, im heutigen Suurhusen (Ortsteil der Gemeinde Hinte) errichtet und ist der Kirchturm der bereits 200 Jahre älteren evangelisch-reformierten Kirche. Ein Überhang des Turmes wurde bereits im Jahr 1885 festgestellt. Das Fundament, welches aus Eichenbohlen bestand, begann zu vermodern, da der Grundwasserspiegel sank und dadurch Luft an die Bohlen geriet. Diese wurden zuvor jahrhundertelang vollständig vom Grundwasser umschlossen und dadurch konserviert. Anfang der 70er Jahre wurde die Kirche gesperrt, da sich der Turm immer weiter neigte. Erst 10 Jahre später konnte ein weiteres Absacken durch unterirdische Stahlbetonpfähle verhindert werden, sodass die schiefe Kirche 1985 wieder in Betrieb genommen werden konnte.
Der aktuelle Überhang beträgt 2,47 m, was einer Neigung von 5,19° entspricht.
Zum Vergleich: Pisa weist eine Neigung von nur etwa 4° auf.
Und weil es so schön zu unserem heutigen Thema passt. Das heutige Rätsel:
Was ist hier dargestellt?
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